1. Zugang und Material

Die Anspra­che des Unter­neh­mens erfolgte über den Geschäfts­füh­rer. Dieser wurde zunächst für eine Lehr­ver­an­stal­tung ange­spro­chen, in der Stu­den­ten Exper­ten­in­ter­views zur Erkun­dung von Industrie-4.0-Praxisbeispielen durch­führ­ten. Im Rahmen des GAP-Pro­jekts fanden zwei ein­stün­dige Unter­neh­mens­be­ge­hun­gen mit dem Geschäfts­füh­rer statt, in der auch Fragen an Beschäf­tigte gestellt werden konn­ten. Zusätz­lich wurden zwei Inter­views mit dem Geschäfts­füh­rer geführt, der unter ande­rem Ansprech­part­ner für den Arbeits- und Gesund­heits­schutz im Unter­neh­men ist (Unter­neh­mer­mo­dell). Zudem wurden der Fer­ti­gungs­lei­ter (Maschi­nen­be­die­ner?) und der Leiter der Arbeits­vor­be­rei­tung inter­viewt. Die Dauer der Inter­views beträgt durch­schnitt­lich etwa eine Stunde und vari­iert zwi­schen 45 und 75 Minu­ten. Die Inter­views wurden mit einem Dik­tier­ge­rät auf­ge­zeich­net und anschlie­ßend transkribiert.

2. Basis­da­ten und betrieb­li­che Strukturen

(…)

3. Anwen­dung neuer Technologien

Digi­tale Tech­no­lo­gien spie­len in allen Teil­be­rei­chen des Unter­neh­mens eine große Rolle, ins­be­son­dere im Werk­zeug­bau. Seit 2011 wurde ein bedeu­ten­der Anteil des Maschi­nen­parks moder­ni­siert und in zwei auto­ma­ti­schen Fer­ti­gungs­zel­len mit­ein­an­der ver­netzt. Die Ver­net­zung der Maschi­nen steht im Fokus der Fall­dar­stel­lung. Dane­ben nutzt das Unter­neh­men zahl­rei­che wei­tere digi­tale Tech­no­lo­gien, wie z.B. 3D-Dru­cker im Inge­nieur­büro, indi­vi­du­ell kon­fi­gu­rierte Hand­lings­ge­räte an Spritz­guss­ma­schi­nen sowie ein Doku­men­ten­ma­nage­ment­sys­tem im Office-Bereich.

3.1 Auto­ma­ti­sie­rung in der Produktion

3.1.1 Zwei ver­netzte Fertigungszellen

Ein wich­ti­ger Bestand­teil der Auto­ma­ti­sie­rung sind die beiden ver­netz­ten Fer­ti­gungs­zel­len im Werk­zeug­bau. Die Zellen umfas­sen meh­rere Maschi­nen, eine Bela­de­sta­tion und in der Mitte einen Robo­ter­arm, der die Werk­stü­cke nach Prio­ri­tä­ten auf freie Maschi­nen­plätze ver­teilt. Abge­se­hen von weni­gen Schrit­ten erfolgt der Bear­bei­tungs­pro­zess in den Fer­ti­gungs­zel­len von Sta­tion zu Sta­tion auto­nom. Eine auto­ma­ti­sche Qua­li­täts­kon­trolle sorgt dafür, dass die Feh­ler­rate gegen Null ten­diert. Das Maschi­nen­pro­gramm (Certa) ist mit dem ERP-System ver­bun­den, was eine exakte Erfas­sung der Maschi­nen­lauf­zei­ten ermög­licht. Zwei der Maschi­nen­be­die­ner haben die Mög­lich­keit, von mobi­len End­ge­rä­ten über die Soft­ware Team­viewer auf die Anlage zuzugreifen.

Die erste Fer­ti­gungs­zelle ist für die Fer­tig­be­ar­bei­tung kon­zi­piert (u.a. fein­frä­sen, ero­die­ren…) und wird 2011 im Zuge einer Erneue­rung des Maschi­nen­parks errich­tet. Der Robo­ter­arm kann 250kg auf einer Fläche von 320 x 320cm bewe­gen. Die zweite Fer­ti­gungs­zelle wird 2013 für Vor­fräs­ar­bei­ten (Schrub­ben, Küh­lung bohren…) kon­stru­iert. Auf einer Fläche von 500 x 500cm trägt der Robo­ter­arm eine Last bis 1,5t.

3.1.2. Pro­duk­ti­vi­täts­fort­schritte durch Automatisierung

Auf beiden Fer­ti­gungs­stre­cken können durch Ver­net­zungs- und Auto­ma­ti­sie­rungs­vor­gänge erheb­li­che Pro­duk­ti­vi­täts­fort­schritte und Zeit­er­spar­nisse rea­li­siert werden. Nach Anga­ben des Fer­ti­gungs­lei­ters hat sich der Aus­stoß mit Errich­tung der ersten Fer­ti­gungs­zelle ver­drei- bis vervierfacht.

Jetzt ist das ja natür­lich über­haupt nicht mehr damit zu ver­glei­chen. Wir schaf­fen in der Anlage am Tag im Schnitt 60 bis 80 Elek­tro­den, wo wir vorher, auch mit nur einer Maschine viel­leicht 20 am Tag geschafft haben. Also das ist schon immens schnel­ler gewor­den. (F)

Die zweite Fer­ti­gungs­stre­cke ermög­licht es vor allem Boh­run­gen erheb­lich schnel­ler durch­zu­füh­ren. Die große Zeit­er­spar­nis – statt meh­re­rer Minu­ten werden nur wenige Sekun­den benö­tigt – wird an ande­rer Stelle zumin­dest teil­weise wieder auf­ge­braucht. So benö­tigt die Arbeits­vor­be­rei­tung die ein­ge­sparte Zeit bei den Boh­run­gen zur Pro­gram­mie­rung der Maschine – ein Vor­gang der per­spek­ti­visch auto­ma­ti­siert werden soll. Da eine Nach­be­ar­bei­tung ent­fällt, hat sich die Mon­tage der Werk­zeuge von 2 bis 3 Wochen auf 40 Stun­den ver­kürzt. Die ein­ge­sparte Arbeits­zeit wird in der Kon­struk­tion und der Arbeits­vor­be­rei­tung benö­tigt, so dass es zu einer Ver­la­ge­rung der Beschäf­ti­gung kommt.

Die Maschine baut die Löcher, [was] früher hän­disch 12 Minu­ten gebraucht hat für Zeh­ner­loch 100 mm tief, (das) macht die Maschine in 20 Sekun­den. Also das ist der Vor­teil von der Maschine. Brauchst aber jeman­den, der das halt pro­gram­miert und der braucht, um das Loch zu pro­gram­mie­ren 12 Minu­ten. (…) Auf der ande­ren Seite ist es so, das lässt sich dann wieder auto­ma­ti­sie­ren. Wenn man die Schwach­stelle erkennt, sagt man, hier, ich weiß, ich kann da wieder auto­ma­ti­sie­ren. Ich kann da irgendwo Pro­gramme abfas­sen. Ich kann die Leute in diese Rich­tung drän­gen.  (GF)

3.1.3. Ein­ge­schränkte Selbstorganisation

Die Maschi­nen haben ein auto­ma­ti­sches Anlauf­sys­tem, wel­ches es ermög­licht, ver­schie­dene Abläufe im Vor­feld zu pro­gram­mie­ren. Bei­spiels­weise kann ein­ge­stellt werden, welche Maschine wann hoch­fährt um z.B. Span­nungs­ka­pa­zi­tä­ten nicht zu über­schrei­ten. Auf­grund der Auto­ma­ti­sie­rung ent­fal­len für die Maschi­nen­be­die­ner Pro­gram­mier­schritte, welche nun von der Arbeits­vor­be­rei­tung durch­ge­führt werden.

Die Maschi­nen­be­die­ner sind Maschi­nen­be­die­ner, keine Pro­gram­mie­rer mehr. Also jeden­falls alles, was die Auto­ma­ti­sie­rung angeht. Wir haben drei noch klas­si­sche Fräs­ma­schi­nen, da wird noch viel mit der Hand auch noch mal geschrie­ben. (AV)

Die Über­mitt­lung der Pro­gramm­codes an die Fer­ti­gungs­stre­cke – die soge­nannte Ver­hei­ra­tung von Werk­stück und Maschi­nen – erfolgt über RFID-Chips. In der Umgangs­spra­che der Prak­ti­ker werden die Werk­stü­cke oder Werk­zeuge „gechippt“. D.h., die Infor­ma­tion über den letz­ten Bear­bei­tungs­schritt aus dem Chip wird aus­ge­le­sen und eine neue Infor­ma­tion über die aktu­elle Sta­tion oder den aktu­el­len Zustand wird dem inte­grier­ten Chi­pele­ment hin­zu­ge­fügt. Dieser Vor­gang erfolgt nicht aus­schließ­lich in selbst­ge­steu­er­ter Eigen­re­gie der Maschi­nen, der Mit­ar­bei­ter fügt Zusatz­in­for­ma­tio­nen hinzu, bestä­tigt oder prüft den Vor­gang. Erst dann werden die Maschi­nen in der Fer­ti­gungs­zelle aktiv und ent­schei­den ent­spre­chend ihrer pro­gram­mier­ten Vorgaben:

Also ich hab ein Teil, das schraube ich auf die Palette. Chippe das, sage was es ist. Dann tu ich die Bela­de­sta­tion auf, stelle mein Teil rein, chippe die Bela­de­sta­tion und chippe das Teil. Somit weiß der, das Teil ist in dieser Bela­de­sta­tion. Nimmt sich das und tut es auf irgend­ein freien Platz. (MB)

3.1.4. Par­ti­elle Insellösungen

Im Pro­duk­ti­ons­pro­zess über­neh­men die Fer­ti­gungs­zel­len die unmit­tel­bare Ver­ar­bei­tung des Werk­stücks. Das Per­so­nal pro­gram­miert, steu­ert und über­wacht die Anla­gen. Die für cyber-phy­si­sche Sys­teme cha­rak­te­ris­ti­schen tech­ni­schen Grund­la­gen (Sen­so­rik, Akto­rik, Soft­ware, Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Mensch-Maschine-Schnitt­stel­len) sichern die Funk­tio­na­li­tät auf einem hohen Niveau, wenn auch immer noch als (zwei) Insel­lö­sun­gen inner­halb des Betriebes.

Trotz der stetig wach­sen­den Auto­ma­ti­sie­rung betont das Manage­ment bis­lang den Stel­len­wert des Men­schen zur Über­wa­chung und Koor­di­nie­rung der Abläufe. Auch Beschäf­tigte sehen, wie die Prio­ri­tä­ten des Manage­ments einen Ein­fluss auf die pro­gram­mier­ten Abläufe ermög­li­chen. Im „Rap­port fest­ge­legt“ können Mit­ar­bei­ter durch „Ein­spruchs­recht“ Prio­ri­tä­ten ver­schie­ben. Bei­spiel­haft schil­dert ein Beschäf­tig­ter in der Fer­ti­gung, dass neben den vor­ran­gi­gen Manage­ment­vor­ga­ben ver­han­del­bare Kun­den­an­for­de­run­gen Spiel­räume in der Abar­bei­tung von Auf­trä­gen eröffnen:

Also wenn du dann auf­hörst, Men­schen nicht mehr zu haben oder sowas und ähm, die Prio­ri­tä­ten werden eigent­lich bei uns im Rap­port fest­ge­legt, also die Geschäfts­lei­tung legt sie als erstes fest, dann wird dis­ku­tiert, ob diese Prio­ri­tä­ten auch so in Ord­nung sind, also es gibt da auch ein Ein­spruchs­recht. Also sprich, wir haben fünf Werk­zeuge zu machen und wenn ich das Werk­zeug mache, werde ich das nicht fertig krie­gen, ja. Das ist aber recht unbe­deu­ten­des, mit dem kannst du dich, also mit dem Kunden kannst du reden, der brauchts nicht gleich, ist ein Ersatz­werk­zeug, also ruft man an, sagt: ‘Pass mal auf, ich mach erst­mal das fertig erst­mal.‘ (MB)

3.2 Daten­er­fas­sung und -nutzung

3.2.1. Daten zur Rea­li­sie­rung von Produktivitätspotenzialen

Die auto­ma­ti­sier­ten Fer­ti­gungs­stre­cken erzeu­gen eine Viel­zahl von Daten. Diese werden genutzt um Opti­mie­rungs­po­ten­ziale auf­zu­spü­ren und so wei­tere Zeit- und Kos­ten­ein­spa­run­gen zu rea­li­sie­ren. So über­prüft bei­spiels­weise ein Prak­ti­kant den Mate­ri­al­ver­brauch an Frä­sern und sucht nach mög­li­chen Einsparungen.

Also wir ver­brau­chen … pro Jahr unge­fähr 70.000 € Fräser. Da ist es natür­lich inter­es­sant, warum ver­brau­che ich so viele Fräser, wie kann ich das beein­flus­sen? Und dann suche ich mir natür­lich in dem Rahmen der Mög­lich­kei­ten, der Ein­fluss­mög­lich­kei­ten, die Punkte, wo ich angrei­fen kann. (GF)

3.2.2. Zuver­läs­sig­keit der Daten

Theo­re­tisch lassen sich die Maschi­nen­da­ten auch zur Leis­tungs­be­wer­tung der Mit­ar­bei­ter nutzen.  Prak­tisch erge­ben sich jedoch aus Sicht des Manage­ments Schwie­rig­kei­ten. Der Geschäfts­füh­rer schil­dert, dass Mit­ar­bei­ter Maschi­nen­ein­stel­lun­gen ver­än­dern können, so dass die Inter­pre­ta­tion der aus­les­ba­ren Daten schwie­ri­ger wird und zu fal­schen Schluss­fol­ge­run­gen führen kann. Ohne die Erfah­rung einer tat­säch­li­chen Mani­pu­la­tion der Daten durch die Mit­ar­bei­ter schil­dert er, welche Mög­lich­kei­ten bei der Abrech­nung der Arbeits­zeit bestehen:

Sie können das bei einer Fer­ti­gungs­zelle rela­tiv gut machen, wenn Sie wollen, aber (…) ich bin da schon so oft rein­ge­fal­len. Ein Bei­spiel: Der Mit­ar­bei­ter ist acht Stun­den auf Arbeit, ich kann die Spin­del­zei­ten abrech­nen. Die Spin­del sagt dir noch nicht, ob sie mit vollem Vor­schub läuft oder lang­sa­mer läuft. Wenn ich also als Mit­ar­bei­ter fest­stelle, ich habe noch fünf Stun­den zu tun, und wenn ich jetzt normal wei­ter­ma­che, dann bin ich einer Stunde fertig oder ich tu ein­fach das Pro­gramm auf 20% stel­len und dann bin ich gerade zum Fei­er­abend fertig. Das sind also auch Sachen, die man objek­tiv abrech­net, aber wo man aber sub­jek­tiv rich­tig dane­ben liegen kann. (GF)

3.2.3. Daten­er­fas­sung und -nut­zung durch ERP-Software

Ein wich­ti­ges Instru­ment der Daten­er­fas­sung und -nut­zung im Unter­neh­men ist das ERP-System. Das Unter­neh­men nutzt seit 1996 ein ERP-Pro­gramm, wel­ches seit­her zwei­mal umge­stellt wurde. Das aktu­elle System ist mit dem mit dem Maschi­nen­pro­gramm (Certa) ver­knüpft und kann unter ande­rem Bear­bei­tungs­zei­ten von Maschi­nen ein­le­sen. Einer­seits werden Pro­duk­ti­ons­da­ten auto­ma­tisch im ERP-System doku­men­tiert, ande­rer­seits sind aber auch die Mit­ar­bei­ter gefragt, Infor­ma­tio­nen ein­zu­spei­sen. So kann durch ein gut gepfleg­tes Daten­bank­sys­tem bei­spiels­weise beim Kauf von Roh­stof­fen (hier: Stahl) fest­ge­stellt werden, ob dieser mit dem vor­han­de­nen Maschi­nen­park im Unter­neh­men (hier: eine geeig­nete Säge) bear­bei­tet werden kann. Dann zeigt die ERP-Soft­ware im ent­spre­chen­den Menü­punkt nur den Stahl an, „der da spe­zi­ell geeig­net ist.“ (GF)

Damit die ERP-Soft­ware als Assis­tenz­sys­tem beim Ein­kauf funk­tio­niert, wurden im Unter­neh­men ent­spre­chende Kon­fi­gu­ra­tio­nen vor­ge­nom­men, von denen der Geschäfts­füh­rer berichtet:

Also man kann in der Daten­ba­sis etwas ver­an­kern … und das [Wissen] aber auch bereit­stel­len, ja. Das ist genauso wie in meinem ERP-Pro­gramm, da plop­pen immer bestimmte Fens­ter auf und diese Fens­ter sagen mir immer, wenn du das machst, ja, pas­siert das. Also ich habe mir da so Warn­hin­weise ange­bracht. GF

3.3 Tech­no­lo­gie­ein­füh­rung und Betei­li­gung der Beschäftigten

3.3.1. Technik­ein­füh­rung als zen­tra­li­sierte Entscheidung

Der inten­sive, sich auf alle Geschäfts­pro­zesse erstre­ckende Digi­ta­li­sie­rungs­pfad wird nicht allein aus betriebs­wirt­schaft­li­chen Grün­den ver­folgt. Nach Aus­kunft des Manage­ments ist der Druck zu inno­vie­ren inner­halb der Bran­che eher gering. Der digi­ta­li­sie­rungs­af­fine Kurs des Unter­neh­mens ent­springt wesent­lich einer Tech­nik­be­geis­te­rung des Geschäfts­füh­rers, der als einer von drei Inge­nieu­ren die Firma auf­ge­baut hat. Er sieht sich als Vor­rei­ter in Sachen Digi­ta­li­sie­rung, initi­iert Pilot­pro­jekte mit For­schungs­ein­rich­tun­gen und ist in über­be­trieb­li­che Netz­werke und Initia­ti­ven im The­men­feld Indus­trie 4.0 eingebunden.

Die Ent­schei­dung über die Anschaf­fung und Ein­füh­rung neuer (digi­ta­ler) Tech­nik liegt allein beim Geschäfts­füh­rer, der als klas­si­scher Fir­men­pa­tri­arch agiert. Sein hier­ar­chi­sches Ver­ständ­nis einer Betriebs­or­ga­ni­sa­tion ver­tritt er ganz offen:

Ich bin seit 20 Jahren [hier]. Alles was hier steht hab ich erhungert.

Du brauchst immer eine Hier­ar­chie. Du brauchst immer (…) jeman­den, der weiß, wo es lang­geht, also jedes Schiff hat einen Käpt‘n. Und jede Abtei­lung braucht genauso seinen Käpt‘n, wie eben halt ein Schiff, ja. Und ich bin jeden­falls der Flot­ten­ad­mi­ral und ich ver­sammle die dann immer und sage: Passt auf, wir machen jetzt das so und so und so. (GF)

3.3.2. Mit­spra­che­recht „gen Null“

Die patri­ar­cha­lisch-hier­ar­chi­sche Füh­rungs­kul­tur prägt das Unter­neh­men und erfährt im Zuge der tech­ni­schen Wei­ter­ent­wick­lung keinen sicht­ba­ren Wandel. Dabei geht der Geschäfts­füh­rer ganz selbst­ver­ständ­lich davon aus, dass der Kurs mit­ge­tra­gen wird: „Alle wollen das!“Tat­säch­lich teilen jedoch nicht alle Mit­ar­bei­ter die Tech­nik­be­geis­te­rung und wün­schen sich unab­hän­gig davon mehr Par­ti­zi­pa­ti­ons­an­ge­bote. Obwohl die tech­ni­kaf­fi­nen Mit­ar­bei­ter über ein hohes Kom­pe­tenz­ni­veau ver­fü­gen, ist deren Mit­spra­che­recht gering, auch was die Frage nach der Anschaf­fung von neuer Tech­nik oder der Aus­wahl an Werk­zeu­gen für die Maschi­nen betrifft.

Also wir als Maschi­nen­be­die­ner haben eigent­lich wenig Mit­spra­che­recht. Gen Null würde ich sagen. (…). Ob ich da jetzt immer alles davon genauso machen würde, sei erst­mal dahin­ge­stellt, aber wir haben da wenig Mit­spra­che­recht. (MB)

3.4 Tech­ni­k­ak­zep­tanz und Her­aus­for­de­rung bei der Umsetzung

3.4.1. Ange­bots­de­fi­zite bei IT-Dienstleistungen

Hin­der­nisse des aus­ge­präg­ten Digi­ta­li­sie­rungs­pfa­des des Unter­neh­mens sind im IT-tech­ni­schen Bereich aus­zu­ma­chen. Der Geschäfts­füh­rer beklagt einen Mangel an IT-Unter­neh­men, die kleine unter­neh­mens­spe­zi­fi­sche Pro­gramme zur Anpas­sung von Stan­dard­soft­ware schrei­ben. Es fehlen Anschluss­mo­dule, um bestehende Sys­teme zu modi­fi­zie­ren und um neue, an den Bedarf des Unter­neh­mens ange­passte Funk­tio­nen zu ermög­li­chen. Der Geschäfts­füh­rer ver­or­tet einen Hand­lungs­be­darf bei der Ange­bots­land­schaft auf Landesebene:

Thü­rin­gen hat zum Bei­spiel eine ganz tolle IT-Land­schaft. Aber bei uns in Thü­rin­gen gibt es keinen, der Pro­gramme schreibt, die … rich­tig für die Fer­ti­gung sind. Also wir erzäh­len zwar: ‚Und wir machen das und wir machen ERP-Sys­teme und IKT-Anpas­sung und machen SQL-Daten­ban­ken, wir machen Bla­bla­bla.‘ Aber das einer sich hin­setzt und sagt, ich mache mal sowas, was so ein Betrieb braucht, ja, also, so Module schaf­fen, so Anschluss­mo­dule. Das muss ich sagen, da drü­cken sich alle davor. Das ist so die nied­rige Stufe, da können Sie bei den ganzen Firmen lang­ge­hen, das ist zu nied­rig, das machen sie nicht. (GF)

3.4.2. Ein­ge­schränkte Technikakzeptanz

Eine wei­tere Umset­zungs­hürde betrifft die Wider­stände sei­tens der Beschäf­tig­ten. Obwohl die neuen Fer­ti­gungs­zel­len effi­zi­en­ter arbei­ten, können sie aktu­ell nur zu 30% aus­ge­las­tet werden, da viele Mit­ar­bei­ter die alten Maschi­nen gegen­über der neuen Anlage bevor­zu­gen. Der Fir­men­pa­tri­arch inter­pre­tiert dies als „Träg­heit“. Obwohl er selbst immer wieder auf die große Tech­ni­kaf­fi­ni­tät seiner Mit­ar­bei­ter ver­weist, begrün­det er zugleich eine Ver­wei­ge­rungs­hal­tung damit, dass „neue Tech­nik nicht auto­ma­tisch akzep­tiert [wird]“.

Die Ver­wei­ge­rungs­hal­tun­gen können jedoch auch auf die patri­ar­chale Unter­neh­mens­kul­tur und feh­lende Par­ti­zi­pa­ti­ons­an­ge­bote zurück­ge­führt werden. Bei­spiel­haft hier­für steht die Anschaf­fung einer gebrauch­ten Fräs­ma­schine, die der Geschäfts­füh­rer ohne Rück­spra­che mit den Beschäf­tig­ten güns­tig erwor­ben hat. Da diese eine andere Steue­rung als die bis­he­ri­gen Anla­gen auf­weist, ver­mei­den die Mit­ar­bei­ter kon­se­quent deren Nut­zung. Als Resul­tat wird die Maschine nach weni­gen Mona­ten und „nach nur 30 Betriebs­stun­den ver­schrot­tet“ (GF).

4. Gesund­heit­li­che Be- und Entlastung

4.1 Arbeits­in­halte /-auf­ga­ben

4.1.1. Stei­gende Anfor­de­run­gen auf­grund der Maschinenvernetzung

Über­ein­stim­mend schil­dern Geschäfts­füh­rung und Beschäf­tigte, dass die Arbeit an den Fer­ti­gungs­stre­cken mit wach­sen­den qua­li­fi­ka­to­ri­schen Anfor­de­rung ein­her­geht. Statt ein oder zwei werden nun­mehr acht ver­netzte Maschi­nen bedient, bestückt und gewar­tet. Die Maschi­nen­be­die­ner an den Fer­ti­gungs­stre­cken müssen ent­spre­chend mehr Pla­nungs- und Orga­ni­sa­ti­ons­auf­wand betrei­ben als Beschäf­tigte an kon­ven­tio­nel­len Maschinenarbeitsplätzen.

Die Tätig­keits­pro­file haben sich sub­stan­ti­ell ver­än­dert, „von einer Rüst- und Beob­ach­tungs­auf­gabe zu einer orga­ni­sa­to­ri­schen Sache“ (GF), bei dem man den gesam­ten Pro­zess von der Ent­wick­lung bis zur Qua­li­täts­kon­trolle im Blick behal­ten muss. Der Geschäfts­füh­rer betont die Wich­tig­keit von vor­aus­schau­en­dem Über­blicks­wis­sen und Kreativität:

Also man kann die Tech­nik nicht auf­hal­ten. Und ich hatte Ihnen das ja mal gezeigt was der Unter­schied zwi­schen einem Fräser ist, der die Maschine beob­ach­tet wie sie arbei­tet und der, der an der Fer­ti­gungs­zelle ist, der eigent­lich – wäh­rend die Maschine arbei­tet – über­legt, wie kann ich den nächs­ten Schritt organisieren.(GF)

4.1.2. Pro­blem­lö­sungs­kom­pe­ten­zen gefragt

Dazu gehört auch die Erwar­tung an Pro­blem­lö­sungs­kom­pe­ten­zen der Beschäf­tig­ten, um bei­spiels­weise im Stör­fall eigen­ver­ant­wort­lich zu handeln.

Also ich habe [als Maschi­nen­be­die­ner] eigent­lich mehr die Auf­gabe, Fehler zu suchen. Warum macht die Maschine das nicht? Warum habe ich den und den Aus­fall? (GF)

Wir hatten letzte Woche Frei­tag einen Total­aus­fall an der Fer­ti­gungs­stre­cke, wo gar nichts mehr ging, wo der Bedie­ner eigent­lich, tja, dann sich bewährt hat (…). Der musste im Prin­zip die Repa­ra­tur ver­an­las­sen. Und da muss er cool blei­ben, weil seine Auf­träge drän­geln. Und dann musst du das machen und Frei­tag hat auch keiner Zeit zu Ihnen her­zu­kom­men und das zu repa­rie­ren. (…) Und das sind so Kom­pe­ten­zen, also so Pro­blem­lö­sungs­kom­pe­ten­zen brau­che ich. (GF)

4.1.3. Not­wen­dig­keit erwei­ter­ter Entscheidungsspielräume

Ent­schei­dungs­spiel­räume für die Beschäf­tig­ten im Fall­un­ter­neh­men resul­tie­ren aus der ver­än­der­ten, heute stär­ker wis­sens­in­ten­si­ven Arbeit mit „gestie­ge­nen tech­ni­schen Ansprü­chen“(GF). Auch eine höhere Ver­ant­wor­tung für Kosten und Aus­las­tung geht mit einer not­wen­di­gen Eröff­nung von Ent­schei­dungs­spiel­räu­men einher, die zum Teil von den Beschäf­tig­ten – hier vor allem von den Jün­ge­ren – gern ange­nom­men wird.

Der junge Leiter der Fer­ti­gung ver­weist auf die gestie­ge­nen Anfor­de­run­gen und auf die Not­wen­dig­keit, Ent­schei­dungs­spiel­räume zu nutzen. Zugleich deutet der Fer­ti­gungs­lei­ter mit seiner Äuße­rung an, dass die Mit­ar­bei­ter eigent­lich keine Wahl haben: „Wirk­lich auch Mit­den­ken“ wird zur Pflicht, andern­falls droht die „Aus­sor­tie­rung“.

Knöpf­chen­drü­cker können wir hier nicht gebrau­chen. Nur ein klit­ze­klei­ner Fehler und das hat fatale Folgen in der Anlage. Weil ich habe nicht die Zeit mehr wie früher, wo ich nur zwei Maschi­nen hatte, die direkt neben­ein­an­der stan­den, wo ich beide ein­se­hen konnte. Du brauchst Leute, die wirk­lich auch mit­den­ken und alles andere haben wir eigent­lich über die Jahre danach aus­sor­tiert. (FL)

4.1.4. Zunahme dezen­tra­li­sier­ter Entscheidungen

Der Geschäfts­füh­rer beschreibt, wie sich Ent­schei­dungs­kom­pe­ten­zen nach unten ver­la­gern. Der Abstim­mungs­be­darf mit Beschäf­tig­ten in der Arbeits­vor­be­rei­tung steigt und auch die Orga­ni­sa­tion des War­tungs­pro­zes­ses und die Beschaf­fung von Ersatz­tei­len gehört zu den neuen Auf­ga­ben­fel­dern der Maschinenbediener.

Also im Prin­zip tut sich eine bestimmte Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz nach unten ver­la­gern. (…) Wenn die Fer­ti­gungs­zelle kaputt ist und er muss sich darum küm­mern, dass sie wieder läuft, dann … Früher hätte er das nicht gemacht, aber heute ruft er dort an, sagt: ‚Ich habe eine Fern­be­die­nung. Ich brau­che ein neues Relais. Ich brau­che das und das.‘ Und dann bestellt er es auch oder holt sich das Ange­bot ein. (GF)

4.1.5. Erfah­rungs­wis­sen als Vor­aus­set­zung für auto­ma­ti­sierte Prozesse

Obwohl die Pro­zesse als auto­nom agie­rend pro­gram­miert werden, han­delt es sich nach wie vor um ein Zusam­men­spiel aus auto­ma­ti­sier­ten Abläu­fen und manu­el­len Tätig­kei­ten. Ein Maschi­nen­be­die­ner schil­dert am Bei­spiel der Ein­gabe von manu­el­len Befeh­len die Bedeu­tung von Erfah­rungs­wis­sen bei der Bedie­nung der Fertigungsstrecke.

Weil das ist ja immer ein Zwi­schen­spiel zwi­schen manu­el­lem Arbei­ten und auto­ma­ti­schen. Die Tech­nik ist zwar schon gut, aber hat gewisse Pro­bleme, wenn du in den Auto­ma­tik-Kreis ein­grei­fen willst manu­ell. Nehmen wir mal an, ich sage jetzt der einen Maschine – die hat ein Teil drauf, ‘ne Elek­trode und das selbe bei allen ande­ren – ich sage: ‚Ent­lade mir das, ent­lade das, ent­lade das, ent­lade das!‘ Das sind viele Befehle, manu­elle – da schmiert sie kom­plett ab. Das ver­kraf­tet sie nicht. Und das lernt man dann so im Laufe der Zeit. Und dann sagt man: ‚Okay, ich warte jetzt lieber 5 min., ehe die ihre Arbeit gemacht hat.‘ Und dann greife ich ein. Bevor ich jetzt ein­greife und muss dann 10 Minu­ten nach­ar­bei­ten, um die Fehler wieder aus­zu­mer­zen, die dann ent­ste­hen. (MB)

4.1.6. Tech­nik­ver­trauen als Kenn­zei­chen „psy­chi­scher Robustheit“

An kon­ven­tio­nel­len Maschi­nen­ar­beits­plät­zen beob­ach­ten Beschäf­tigte die Maschine, um gege­be­nen­falls ein­zu­grei­fen und Werk­stü­cke zu retten. Auf der neuen Fer­ti­gungs­stre­cke ist diese Kon­troll­mög­lich­keit nicht länger gege­ben. „Der Mensch wird raus­ge­nom­men“, umschreibt der Geschäfts­füh­rer die Ver­än­de­rung und for­mu­liert das Anfor­de­rungs­pro­fil eines „psy­chisch robus­ten“ Mit­ar­bei­ters.

Die Maschi­nen­be­die­ner werden inso­fern zum„Skla­ven der Maschine“ (GF), als dass sie den auto­ma­ti­sier­ten Abläu­fen ver­trauen müssen. Gerade älte­ren Mit­ar­bei­tern fällt es schwer, auf die gewohn­ten Beob­ach­tungs- und Kon­troll­mög­lich­kei­ten wäh­rend der Ver­ar­bei­tungs­pro­zesse am Werk­stück zu verzichten.

Du musst dir wirk­lich so sicher sein, dass du Start drückst und gehst [dann] Heim. Und da gibt es halt auch den Typ Mensch, der das nicht kann. Wir haben vorne einen, der hat zwei Maschi­nen. Wenn du dem eine dritte gibst, ist der über­for­dert, weil er bei einer noch drei­mal die Tür auf­macht und auch drei­mal rein­guckt. Und dann geht er zu ande­ren, da rennt er wieder rüber, guckt noch zwei­mal rein. Das hält dann halt auf. (FL)

Es nützt nichts, wenn sie ängst­li­che Kol­le­gen haben. Der macht eigent­lich den ande­ren mehr Arbeit. Es ist nichts, wenn sie jeman­den haben, der kein Ver­trauen hat. Der lässt es sich erst schrift­lich geben, dass er die und die Arbeits­schritte aus­führt. (GF)

4.1.7. Feh­lende Tech­nik­pro­zess­kon­trolle als psy­chi­sche Belastung

Der Maschi­nen­be­die­ner schil­dert den psy­chi­schen Druck, der daraus resul­tiert, dass sich der Bear­bei­tungs­pro­zess in deut­lich gerin­ge­rem Maße beob­ach­ten lässt und Fehler erheb­li­che Aus­wir­kun­gen haben.

Ich muss die Teile wirk­lich so rüsten, dass nichts pas­siert. Da darf kein Fehler pas­sie­ren. Und wenn ich einen Denk­feh­ler habe oder zum Bei­spiel an der Mess­ma­schine meinen Null­punkt nicht oben drauf lege, son­dern auf eine ver­kehrte Ebene, weil ich auf der Zeich­nung nicht rich­tig geguckt habe, dann klimpert‘s fünf Minu­ten später in der Maschine. (MB)

4.1.8. Soft­ware zur Tech­nik­über­wa­chung als psy­chi­sche Entlastung

Teil­weise laufen die Fer­ti­gungs­an­la­gen über Nacht oder über das Wochen­ende, was als beson­dere psy­chi­sche Belas­tung emp­fun­den wird. Mitt­ler­weile gibt es die Mög­lich­keit, die Anla­gen über mobile End­ge­räte mit der Soft­ware Team­View­erzu steu­ern und zu über­wa­chen. Diese Kon­troll­funk­tion wird sei­tens der Maschi­nen­be­die­ner als deut­li­che psy­chi­sche Ent­las­tung bewertet.

Früher war das [die Über­wa­chungs­mög­lich­keit des Maschi­nen­pro­zes­ses per Handy-Soft­ware] halt nicht so. Da haste dann doch mehr schlaf­lose Nächte gehabt, ob es wirk­lich alles funk­tio­niert, oder dich gefragt: ‚Ist der Fräser noch dran? Ist der abge­bro­chen?‘ Das kannst du ja nicht nach­voll­zie­hen. Jetzt weiß ich genau, wenn der Fräser abbricht, wird der ver­mes­sen. [Dann] wird fest­ge­stellt: Der ist abge­bro­chen. Und dann nimmt er das Teil raus und macht das nächste Teil. (FL)

4.2 Arbeits­or­ga­ni­sa­tion

4.2.1. Stei­gen­der Zeit- und Leistungsdruck

Ein Maschi­nen­be­die­ner beschreibt den wach­sen­den Leis­tungs­druck, der unter ande­rem aus den stei­gen­den Anfor­de­run­gen und der zuneh­men­den Ver­ant­wor­tung für eine Viel­zahl an Maschi­nen resultiert.

Naja, ich sag mal, wenn man vorne nur drei Maschi­nen hatte zu bedie­nen, und jetzt hat man in der Anlage fünf Maschi­nen plus noch­mal vorne die drei (…). Sicher­lich ist der Leis­tungs­druck größer gewor­den. (MB)

Dieser Leis­tungs­druck wird jedoch nicht unbe­dingt nega­tiv bewer­tet, son­dern als Aus­druck der eige­nen beruf­li­chen Ent­wick­lung interpretiert.

Ich sag mal, mit mehr Ver­ant­wor­tung hat man natür­lich auch mehr Belas­tung. Aber wenn ich das nicht wollte, müsste ich wahr­schein­lich nur zum Chef sagen, ich will den Posten nicht mehr. Ich möchte auch nur noch ein pop­li­ger Knöpf­chen­drü­cker sein. Dann wäre das wahr­schein­lich auch nicht das Pro­blem. Aber ich denke mal, das muss jeder für sich selber ent­schei­den. (MB)

Aus Sicht des Geschäfts­füh­rers spielt bei der Bewer­tung des Leis­tungs­drucks als Ent­wick­lungs­chance das geringe Alter der Beschäf­tig­ten eine Rolle. Er ver­weist auf das Durch­schnitts­al­ter von 34 Jahren im Werk­zeug­bau und die Moti­va­tion der jungen Beleg­schaft sich im Unter­neh­men zu beweisen.

Wir haben ein Durch­schnitts­al­ter von 34 Jahren. Das heißt, das sind alles noch Leute, die sich in ihren Leben noch bewei­sen müssen. Das ist auch ein ganz wich­ti­ger Aspekt. (GF)

4.2.2. Fle­xi­bi­li­sierte Arbeits­zei­ten nach Anlageerfordernis

Mit der Ein­füh­rung der Fer­ti­gungs­stre­cken sind die Arbeits­zei­ten der Maschi­nen­be­die­ner fle­xi­bler gewor­den. Die Anla­gen können über mobile End­ge­räte mit der Soft­ware Team­Viewer fern­ge­steu­ert werden. Für die Maschi­nen­be­die­ner ergibt sich die Mög­lich­keit, die Arbeit selbst­stän­dig zu planen und ggf. auch von zu Hause aus die Anlage zu überwachen.

Ich hab hier eine Team­Viewer App drauf, und mit dem Team­Viewer ver­binde ich mich dann ein­fach mit der Anlage drau­ßen – kann ich beide Anla­gen aus­wäh­len, das ist jetzt hier genau der Bild­schirm der auch drau­ßen ist. Und kann dadurch über auch TNC-Remo, was so eine Soft­ware ist, kann ich ja direkt auf die Maschine zugrei­fen, Fräser ein­bauen, Namen ändern, Lauf­zei­ten. Ich kann alles machen. Das ein­zige was ich nicht machen kann, ich kann nicht an der Maschine Start drü­cken (…). Aber ansons­ten, mir stehen eigent­lich alle Mög­lich­kei­ten genauso hier­drü­ber zu wie wenn ich hier auf Arbeit bin. Nur dass ich noch keinen habe, der mir die Teile drauf­packt. (MB)

Die [Maschi­nen­be­die­ner] kommen also von selber drauf, dass sie also wenn alles läuft, also wenn die War­tun­gen und Instand­hal­tun­gen fertig gemacht sind, dann gehen sie nach Hause. Dann nehmen sie sich das iPad und wenn das piep macht, kommen die auf Arbeit und brin­gen alles wieder in Ord­nung oder brin­gen das von Zuhause aus in Ord­nung. Also er [der Maschinenbediener]ist so fle­xi­bel, dass er sagt, ich kann meine Arbeit selber ein­stel­len und ich kann mich auch selber über­wa­chen. (GF)

4.2.3. Ent­gren­zung von Arbeit und Leben

Im Umkehr­schluss besteht die Gefahr einer Ent­gren­zung von Arbeit und Pri­vat­le­ben. Der Fer­ti­gungs­lei­ter ist stän­dig erreich­bar und berich­tet von regel­mä­ßi­gen Anru­fen der Mit­ar­bei­ter auch außer­halb der Arbeits­zeit. Im Stör­fall fallen auch Wochen­end­ein­sätze an, wobei der Geschäfts­füh­rer gege­be­nen­falls per­sön­lich die An- und Abfahrt zum Fir­men­ge­lände ermöglicht.

Es sind auch viele Leute, die sagen: Ich bin meine acht Stun­den hier und danach ist Fei­er­abend. Das kannste nicht. (…) Ich bin außer von nachts um 12 bis früh um 5, da möchte ich mal bitte schla­fen, aber ansons­ten können mich die Kol­le­gen jeder­zeit anru­fen. Ich hab mein Handy immer dabei und (…) also ich sag mal alle zwei Tage krieg ich einen Anruf. Hier das Pro­blem, wie geht das, dann nehme ich mein Handy egal wo ich bin und gucke da, ja hier da haste einen Fehler gemacht, das musste so und so machen damit das geht, und diese Bereit­schaft bringt auch nicht jeder Mensch mit sich.

Wenn Sie einen haben, wie z.B. den [Mit­ar­bei­ter­name] da, der ruft mich eben Sonn­abend­abend [an] und sacht: ‚Chef ich sitz in der Kneipe, wenn Sie mich jetzt holen, bring ich die Maschine in Ord­nung müssen mich aber wieder her­brin­gen‘. Da hol ich den [Mit­ar­bei­ter­name], drückt er hier drei Knöpfe, die von zuhause nicht mög­lich sind und dann fahr ich ihn halt wieder in seine Kneipe. Das ist möglich.

4.2.4. Unklar­heit bei Rege­lung von Bereit­schafts­dienst­zei­ten und Verantwortung

Die neuen, mit der Fern­steue­rung und -über­wa­chung der Maschi­nen ein­her­ge­hen­den Mög­lich­kei­ten der Arbeits­or­ga­ni­sa­tion bedeu­ten für das Manage­ment einen Kon­troll­ver­lust. Der Geschäfts­füh­rer begrüßt einer­seits die Fle­xi­bi­li­tät, beklagt aber ande­rer­seits das die Arbeits­leis­tung im Zuge der Über­wa­chung von zu Hause schwer mess- und kon­trol­lier­bar ist. Aus seiner Sicht han­delt es sich um betriebs­über­grei­fende Fra­ge­stel­lun­gen, auf die gesell­schaft­li­che Rege­lun­gen gefun­den werden müssten.

Wenn [Mit­ar­bei­ter­name] sagt: ‚Warte, ich hab das iPad daheim, ich hab da Team­Viewer drauf‘ (…) und ist das jetzt Bereit­schaft oder keine Bereit­schaft die er da macht? Der braucht jetzt acht Stun­den nicht drauf zu gucken, aber er muss dann sagen: ich hab mir ein Alarm ein­ge­stellt, wenn sie [die Maschine] stehen bleibt macht es ‚Piep‘. Und dann ist das iPad gerade auf der Toi­lette, wäh­rend er sich die Zähne putzt und dann hört er den ‚Piep‘ nicht. Und so Fragen, wie: ‚Wie bringe ich mich ein? Wie kon­trol­liere ich das?‘ usw. und was ist die Ant­wort der Gesell­schaft auf solche Sachen? Also wir haben keine Ant­wort der Gesell­schaft auf solche kom­pli­zier­ten Vor­gänge, die gibt es noch nicht. (GF)

4.3 Soziale Bezie­hun­gen, Kom­mu­ni­ka­tion und Kooperation

4.3.1. Hier­ar­chi­sche und par­ti­zi­pa­ti­ons­arme Unternehmenskultur

Auch auf­grund einer feh­len­den Inter­es­sen­ver­tre­tung gelingt es dem Geschäfts­füh­rer ein junges, digi­tal­af­fi­nes Mit­ar­bei­ter­team zu formen, dass sich trotz wach­sen­der Qua­li­fi­ka­ti­ons­an­for­de­run­gen und einer Dezen­tra­li­sie­rung von Kom­pe­ten­zen in eine hier­ar­chi­sche und par­ti­zi­pa­ti­ons­arme Unter­neh­mens­or­ga­ni­sa­tion fügt. Die Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Koope­ra­ti­ons­kul­tur ist stark von einer Unter­neh­mens­kul­tur geprägt, in der die Mit­ar­bei­ter nur wenige Par­ti­zi­pa­ti­ons­spiel­räume haben. Statt eta­blier­ter Infor­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fo­ren findet über­wie­gend ein infor­mel­ler Aus­tausch zwi­schen den Beschäf­tig­ten statt.

4.3.2. Genera­tio­nen­kon­flikte

Die ent­schei­den­den Ver­än­de­run­gen im Werk­zeug­bau­un­ter­neh­men hat der Geschäfts­füh­rer mit den jüngs­ten Fach­ar­bei­tern und Tech­ni­kern rea­li­siert und sie in kür­zes­ter Zeit in Lei­tungs­po­si­tio­nen beför­dert. Einige ältere Beschäf­tigte „sind frei­wil­lig gegangen“(Geschäftsführer), weil sie den tech­no­lo­gi­schen Neue­rungs­kurs nicht mit­tra­gen konn­ten oder woll­ten. Die per­so­nel­len Ver­än­de­run­gen prägen die sozia­len Bezie­hun­gen im Unter­neh­men. Sowohl der Geschäfts­füh­rer als auch der junge Fer­ti­gungs­lei­ter berich­ten über Wider­stände und Schwie­rig­kei­ten in der Zusam­men­ar­beit. Ein Teil der Beleg­schaft stellt sich der hohen Ver­än­de­rungs­dy­na­mik ent­ge­gen und arbei­tet bei­spiels­weise lieber an kon­ven­tio­nel­len Maschi­nen als an den Fer­ti­gungs­stre­cken, die nur zu 30% aus­ge­las­tet werden können. Beson­ders zwi­schen den jungen tech­ni­kaf­fi­nen Lei­tungs­kräf­ten und den älte­ren Mit­ar­bei­tern gibt es Schwie­rig­kei­ten in der Zusammenarbeit.

Das [Ersatz­teile ohne Rück­spra­che bestel­len] wird dann so mal neben­bei unten- oder hin­ten­rum gemacht. Also sicher­lich, ein per­fek­tes Team sind wir auch nicht da drau­ßen. Es gibt immer irgendwo den einen Kol­le­gen der viel­leicht mir auch ans Leder will, weil er sagt ich würde den Job auch gerne machen. (FL)

Ich bin ja nun einer, nicht einer, ich bin der jüngste von allen Kol­le­gen. Die sind alle älter als ich und [Inter­viewer: „Sie müssen sich immer gegen die durch­set­zen?“], genau, und das ist halt auch schon sehr schwie­rig. (FL)

4.3.3. Ent­wer­tung von Erfahrungen

Der Aufbau der auto­ma­ti­schen Fer­ti­gungs­stre­cken hat dazu geführt, dass viele ältere Beschäf­tigte nicht in der Lage oder nicht gewillt waren, sich auf die ver­än­dern­den Bedin­gun­gen ein­zu­stel­len und daher das Unter­neh­men ver­las­sen haben. Nach der Inter­pre­ta­tion des Geschäfts­füh­rers, konn­ten diese Mit­ar­bei­ter nicht mit dem tech­no­lo­gi­schen Wandel im Unter­neh­men mit­hal­ten. Ange­sichts der gestie­ge­nen Kom­ple­xi­tät ver­netz­ter Pro­zesse, erweist sich ihr bis­he­ri­ger Erfah­rungs­vor­teil als fragil. Sowohl der Geschäfts­füh­rer als auch der Fer­ti­gungs­lei­ter schil­dern Ver­wei­ge­rungs­hal­tun­gen, die sie auf einen feh­len­den Willen eta­blierte Rou­ti­nen zu ver­än­dern zurückführen.

Also, ich möchte den Leuten nicht zu nahe treten, aber ich weiß nicht ob es viel­leicht auch was mit dem Alter zu tun hat. ‚Ich hab in seiner Sicht­weise, ich hab das jetzt 30 Jahre so gemacht und es hat funk­tio­niert, warum soll ich das ändern?‘. Den einen Kol­le­gen haben wir ver­lo­ren wo wir damals mit der Mess­ma­schine auf das Palet­ten­sys­tem gegan­gen sind. Das war ein­fach nicht ihm so bei­zu­brin­gen und der hat halt seine Teile in der Maschine gemacht und war der Mei­nung, dass diese Mess­ma­schine Müll ist. (…) Er war ein Top Fräser, kann man nichts sagen. Aber diese Eng­stir­nig­keit, dass er nicht voran wollte hat ihm sozu­sa­gen das Genick gebro­chen. (FL)

Dabei sind es nicht nur fach­li­che Kom­pe­ten­zen, son­dern auch Per­sön­lich­keits­merk­male, die das neue Anfor­de­rungs­pro­fil kenn­zeich­nen. Die Arbeit an den auto­ma­ti­schen Fer­ti­gungs­stre­cken erfor­dert dem Geschäfts­füh­rer zufolge Ver­trauen in die Tech­nik und „psy­chi­sche Robust­heit“. Der Mensch werde „ein Stück weit zum Skla­ven der Maschine und das muss man erst mal aus­hal­ten.“ (GF)

4.4 Kör­per­li­che Belas­tun­gen unverändert

Die Ver­net­zung des Maschi­nen­parks und der Aufbau der Fer­ti­gungs­stre­cken haben keinen Ein­fluss auf die phy­si­sche Belas­tung der Beschäf­tig­ten. Haupt­be­las­tun­gen sind einer­seits das lange Stehen und ande­rer­seits das Heben von Stahl­tei­len. Zwar gibt es für grö­ßere Gewichte Hebe­vor­rich­tun­gen, aller­dings geht deren Nut­zung auf­grund des Eigen­ge­wich­tes eben­falls mit kör­per­li­chen Anstren­gun­gen einher.

Das Haupt­pro­blem ist, dass ein Werk­zeug­ma­cher immer noch mit Stahl zu tun hat und Stahl ein Gewicht hat. (…) Das ist ein­fach so eine Dau­er­be­las­tung, ich sag jetzt mal, 10 Kilo muss ich eigent­lich immer bewe­gen (…) da brauchst du schon eine bestimmte Kon­sti­tu­tion. 10 Kilo des­halb, das wiegt bei uns der Magnet, damit ich etwas hoch­he­ben kann. Das Heben und das lange Stehen sind die phy­si­schen Belas­tun­gen. (GF)

4.4.1. Ver­zicht auf Schutz­maß­nah­men auf­grund von Zeitdruck

Ein Maschi­nen­be­die­ner schil­dert, dass er aus Zeit­druck häufig auf die Nut­zung einer Hebe­vor­rich­tung ver­zich­tet und die Teile selbst in die Maschine hebt.

Ich nehme auch die Teile und heb da 30 Kilo so rein ehe ich ein Kran nehme, weil ich sonst mein Arbeits­ziel, was ich selber mir setze, nicht schaf­fen würde am Tag. Und sicher­lich hört sich das jetzt viel­leicht ein biss­chen blöd an, aber ehe ich jetzt den Kran geholt habe und mir da die Ver­län­ge­rung dran­ge­baut habe, weil das extra so ein Grei­fer ist für die Palet­ten, das hält halt doch alles auf. Wenn ich sechs Palet­ten am Tag oder acht Palet­ten am Tag mache sum­miert sich das ja doch schon zu viel­leicht einer halben Stunde die mir dann fehlt. Und des­we­gen mach ich das halt so.

4.5 Unfälle

4.5.1. Ver­läss­li­che Schutz­maß­nah­men der auto­ma­ti­schen Fertigungsstrecken

Das Auf­kom­men an Arbeits­un­fäl­len hat sich durch die tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung und die fort­schrei­tende Digi­ta­li­sie­rung im Unter­neh­men nicht ver­än­dert. Dem Geschäfts­füh­rer zu Folge stehen Arbeits­un­fälle in der Regel nicht im Zusam­men­hang mit den Maschi­nen, die wäh­rend ihres Betrie­bes abge­rie­gelt sind. Die Fer­ti­gungs­zel­len sind zusätz­lich mit durch­sich­ti­gen Stell­wän­den inner­halb der Werk­halle abge­trennt und können wäh­rend des Betrie­bes nicht betre­ten werden. Werden Sicher­heits- oder Maschi­nen­tü­ren geöff­net, werden alle Bear­bei­tungs­pro­zesse sofort unterbrochen.

Seit wir die auto­ma­ti­schen Fer­ti­gungs­stre­cken haben ist nichts vor­ge­fal­len. (…) Ich bin der Mei­nung es ist fast unmög­lich da einen Arbeits­un­fall zu erlei­den. (FL)

Von der Sache her man kann sich da nichts tun, weil sobald ich irgend­eine Tür auf­ma­che oder irgend­was drücke an irgend­wel­chen Sicher­heits­tü­ren oder Maschi­nen­tü­ren, hält alles an, dann geht kei­ner­lei Bear­bei­tung weiter. Also es ist nicht mög­lich sich da irgendwo weh­zu­tun. Das ein­zige was pas­sie­ren kann auf dem Weg vom Rüsten bis zum Bela­den der Anlage. Wenn dir da die Palette run­ter­fällt und schrubbst du dir das Knie auf. Aber ansons­ten ist es eigent­lich nicht möglich.(MB)

4.5.2. Klas­si­sche Arbeits­un­fälle häufig durch Umge­hung von Schutzmaßnahmen

Arbeits­un­fälle ereig­nen sich haupt­säch­lich durch scharfe Stahl­kan­ten an den Werk­stü­cken oder an Schleif­ma­schi­nen, wenn Beschäf­tigte ent­ge­gen der Arbeits­schutz­be­leh­run­gen auf eine Schutz­brille verzichten.

Unsere Arbeits­un­fälle, die kommen nicht von den Maschi­nen. Unsere Arbeits­un­fälle sind meis­tens Blöd­hei­ten, wenn Mit­ar­bei­ter, also bewusst oder unbe­wusst, Arbeits­schutz ver­nach­läs­sigt haben. Du kannst sie drei­mal belehrt haben, dass sie die Brille auf­set­zen, wenn sie an der Schleif­ma­schine sitzen. Und dann kommt: Klas­si­sche Arbeits­un­fälle häufig durch Umge­hung von Schutzmaßnahmen‚Ich will ja nur mal schnell‘. Und das pas­siert dann. (…) Die meis­ten Ver­let­zun­gen sind eigent­lich irgendwo, dass einer eine Stahl­kante ver­ges­sen hat zu ent­gra­ten und dann natür­lich mal kuckt, ob Haut sta­bi­ler ist als Stahl. (GF)

5. Arbeits- und Gesundheitsschutz

Im Bereich des Arbeits- und Gesund­heits­schut­zes wird im Betrieb das soge­nannte Unter­neh­mer­mo­dell prak­ti­ziert. Ein Teil der sicher­heits­tech­ni­schen Betreu­ung wird durch den Geschäfts­füh­rer gewähr­leis­tet, der an den von der Berufs­ge­nos­sen­schaft fest­ge­leg­ten Semi­na­ren bzw. Fern­lehr­gän­gen über Arbeits­schutz teil­nimmt und eine Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung erstellt hat. Zusätz­lich gibt es eine externe Sicher­heits­fach­kraft, die in den gesetz­lich vor­ge­schrie­be­nen Inter­val­len Arbeits­schutz­be­leh­run­gen durch­führt. Die Beleh­run­gen sind nach Aus­kunft des Fer­ti­gungs­lei­ters Stan­dard­un­ter­wei­sun­gen, die nicht auf die auto­ma­ti­schen Fer­ti­gungs­stre­cken zuge­schnit­ten sind.

Da hat sich einer bei uns den Fuß ver­knackst, dar­auf­hin wurde ich ver­don­nert eine Schu­lung zu machen als Sicher­heits­fach­kraft. (…) Und dann war das Unter­neh­mer­mo­dell, so schlimm ist das gar nicht, weil Gefah­ren ein­schät­zen und Gefah­ren bezeich­nen und bezif­fern und der­glei­chen musst du sowieso und des­halb haben wir das getan. Natür­lich haben wir ab und zu mal auch jeman­den Exter­nen hier, der die ganzen Beleh­run­gen vor­nimmt, weil die Beleh­run­gen sind ja nun stän­dig wech­selnd. (GF)

5.1. Kein moder­ni­sier­tes betrieb­li­ches Gesundheitsmanagement

Mit der fort­schrei­ten­den Digi­ta­li­sie­rung und der Eta­blie­rung der auto­ma­ti­schen Fer­ti­gungs­stre­cken hat es im betrieb­li­chen Gesund­heits­ma­nage­ment keine Anpas­sun­gen gege­ben. Die Maß­nah­men im Arbeits- und Gesund­heits­schutz zielen auf die Reduk­tion von kör­per­li­chen Anfor­de­run­gen, dar­un­ter vor allem langes Stehen und schwe­res Heben. Es gibt bei­spiels­weise Fuß­bo­den­flie­ßen, die die Belas­tun­gen durch langes Stehen redu­zie­ren. An eini­gen Maschi­nen­ar­beits­plät­zen wurden zudem spe­zi­elle Stühle ange­schafft, um Steh­zei­ten zu reduzieren.

Das beginnt bei sowas Pri­mi­ti­vem wie zum Bei­spiel das Stehen an der Werk­bank. Also der Unter­grund war Beton mit drauf. Dort haben wir Fuß­bo­den­flie­sen hin­ge­legt, ganz ein­fach, weil die eben halt 10 mm weich sind und dann am Abend haben die ein ganz ande­res Gefühl, als wenn sie den ganzen Tag auf dem harten Boden gestan­den haben. Wir haben auch Matten und der­glei­chen schon aus­ge­legt, das wird aber wieder nicht ange­nom­men, weil das große Pro­blem, wenn was durch­fällt, musst du sie weg­räu­men. Und das ist viel zu viel Arbeit, da tut dir lieber das Kreuz weh. (GF)

6. Per­so­nal­ma­nage­ment

6.1. Schwie­rig­kei­ten bei Personalrekrutierung

Der Geschäfts­füh­rer beklagt Rekru­tie­rungs­schwie­rig­kei­ten, die er zumin­dest teil­weise auf die sich ver­än­dern­den Anfor­de­run­gen an die Beschäf­tig­ten zurück­führt. Er führt aus, dass von sehr vielen Inter­es­sen­ten nur sehr wenige den Ansprü­chen der Geschäfts­füh­rung genü­gen. Er begrün­det dies damit, dass sich auf­grund des tech­ni­schen Wan­dels die Anfor­de­run­gen gegen­über einem klas­si­schen Metall- oder Kunst­stoff­her­stel­ler so sehr unter­schei­den, dass„auch Leute mit Metall- oder Kunst­stoff­be­ru­fen, dann erst­mal eine gewisse Ein­ar­bei­tungs­zeit, Umori­en­tie­rung und Anpas­sung brau­chen“(GF).

6.2. Pro­bleme bei Personalbindung

Neue und sich ver­än­dernde Anfor­de­run­gen erschwe­ren nicht nur die Rekru­tie­rung, son­dern auch die Bin­dung des Per­so­nals. Der Aufbau der auto­ma­ti­schen Fer­ti­gungs­stre­cken hat dazu geführt, dass viele ältere Beschäf­tigte nicht in der Lage oder nicht gewillt waren, sich auf die ver­än­dern­den Bedin­gun­gen ein­zu­stel­len und daher das Unter­neh­men ver­las­sen haben. Ange­sichts der gestie­ge­nen Kom­ple­xi­tät ver­netz­ter Pro­zesse, erweist sich ihr bis­he­ri­ger Erfah­rungs­vor­teil als fragil. Aber auch unter den jün­ge­ren Beschäf­tig­ten ist die Fluk­tua­tion hoch. Nach Aus­kunft des Geschäfts­füh­rers ver­lässt ein Teil der Mit­ar­bei­ter das Unter­neh­men, weil es an Auf­stiegs­mög­lich­kei­ten fehlt.

Also das Pro­blem bei uns besteht da drin, dass wir 36 Leute sind von den 36 Leuten möchte jeder; also junge Leute haben das Ziel, in der Kar­rie­re­lei­ter nach oben zu klet­tern. Wenn sie bei VW arbei­ten würden, haben sie, ich glaube, 18 Stufen der tarif­li­chen Ver­bes­se­rung. Also falls sie jedes Jahr eine Stufe nehmen können. Das ist bei uns nicht der Fall. Also bei uns gibt es ein­fach nur ‚ich kann das oder ich kann das nicht‘. Und das heißt also ‚ich bin qua­li­fi­ziert dafür oder ich bin nicht qua­li­fi­ziert dafür‘. Ich kann ero­die­ren, ich hab es nach­ge­wie­sen, ich kann Ero­dier-Auf­ga­ben lösen oder ich bin es nicht. Das ist etwas, was noch nicht im Griff ist.

Die Rekru­tie­rung und Bin­dung von Beschäf­tig­ten wird dadurch erschwert, dass das Unter­neh­men in einer länd­li­chen, eher struk­tur­schwa­chen und von einer Abwan­de­rungs­dy­na­mik gekenn­zeich­ne­ten Region produziert.

6.3. Gren­zen des Wissenstransfers

Die Bedie­nung der auto­ma­ti­schen Fer­ti­gungs­stre­cken bringt neue Anfor­de­run­gen mit sich, die sich vom kon­ven­tio­nel­len Profil eines Werk­zeug­ma­chers unter­schei­den. Dies stellt auch die Wis­sens­ver­mitt­lung im Unter­neh­men vor beson­dere Her­aus­for­de­run­gen. Die ein­zel­nen Arbeits­schritte sind in Ord­nern doku­men­tiert, ebenso wie Tipps und Tricks, die sich aus dem Erfah­rungs­wis­sen der Beschäf­tig­ten spei­sen. Die Gesamt­über­sicht über die Viel­zahl an Bear­bei­tungs­pro­zes­sen und die not­wen­di­gen orga­ni­sa­to­ri­schen Fähig­kei­ten lassen sich jedoch nach Ansicht des Fer­ti­gungs­lei­ters nur schwer vermitteln.

Das Erfah­rungs­wis­sen, wie jetzt so bestimmte Kniffe und sowas, das haben wir alles Auf­ge­schrie­ben. Das ist alles in Ord­nern drinne. (…) Das ist alles hin­ter­legt. Aber dieses Orga­ni­sa­to­ri­sche, wie soll man das jeman­den bei­brin­gen? Ent­we­der er kanns, oder er kanns nicht. Ich wüsste auch nicht wie man sowas jeman­den bei­brin­gen soll. (FL)

Das ist ja auch dieses ganze Drum­herum noch. Ich hab jetzt zwei­hun­dert Elek­tro­den da drin, ich hab acht Teile drinne, von ver­schie­dens­ten Kunden, die unter­schied­lichste Bear­bei­tungs­stände haben. Das ein ist gefräst, das andere muss noch ero­diert werden, die eine Elek­trode – da ist was Beson­de­res, ich hab jetzt vier Elek­tro­den, weis ich genau was für welche das sind die müssen noch eine zweite Auf­span­nung krie­gen und und und. Man muss diese Gesamt­über­sicht haben und da gibts auch nicht viele Kol­le­gen die das hin­be­kom­men. (FL)

6.4. Tech­ni­scher Wandel ohne Aus­wir­kun­gen auf patri­ar­cha­li­sche Unternehmenskultur

Der Geschäfts­füh­rer hat das Unter­neh­men auf­ge­baut und agiert als klas­si­scher Fir­men­pa­tri­arch. Sein hier­ar­chi­sches Ver­ständ­nis einer Betriebs­or­ga­ni­sa­tion ver­tritt er ganz offen:

Ich bin seit 20 Jahren [hier]. Alles was hier steht hab ich erhun­gert. Aber sehen Sie, ich hab eigent­lich die Kom­fort­zone, wie Sie so schön sagen, hab ich nie gehabt.

Du brauchst immer eine Hier­ar­chie. Du brauchst immer (…) jeman­den, der weiß, wo es lang­geht, also jedes Schiff hat einen Käpt‘n. Und jede Abtei­lung braucht genauso seinen Käpt‘n, wie eben halt ein Schiff, ja. Und ich bin jeden­falls der Flot­ten­ad­mi­ral und ich ver­sammle die dann immer und sage: Passt auf, wir machen jetzt das so und so und so. (GF)

Die patri­ar­cha­lisch-hier­ar­chi­sche Füh­rungs­kul­tur prägt das Unter­neh­men und erfährt im Zuge der tech­ni­schen Wei­ter­ent­wick­lung keinen sicht­ba­ren Wandel. Der Geschäfts­füh­rer fühlt sich dem Wohl der Mit­ar­bei­ter ver­pflich­tet, erkun­digt sich nach pri­va­ten Pro­ble­men, hilft mit Kre­di­ten aus oder bezahlt Füh­rer­schein­prü­fun­gen, wenn Aus­zu­bil­dende das Rau­chen auf­ge­ben. Als Gegen­leis­tung erwar­tet er die Ein­ord­nung in eine hier­ar­chi­sche und par­ti­zi­pa­ti­ons­arme Unter­neh­mens­kul­tur. Trotz des aus­ge­präg­ten Digi­ta­li­sie­rungs­pfa­des sind alle Ent­schei­dun­gen Chef­sa­che. Der tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lungs­pfad basiert zwar auf einer wach­sen­den Pro­duk­ti­ons­in­tel­li­genz der Beschäf­tig­ten führt aber nicht zu fla­che­ren Hier­ar­chien, mehr Trans­pa­renz, Betei­li­gung oder Kooperation.